Das Grundsatzprogramm der AfD lesen, verstehen und bewerten – Teil 3
Von der Präambel Seite 6, bis zur Stadtentwicklung auf Seite 95. Was will die AfD laut ihres Programms wirklich? Eine Analyse. Es handelt sich hierbei nicht um eine akademische Arbeit. Ich bin bemüht die Form einzuhalten, gelingt dies nicht – schade.
Heute Kapitel 2 „Europa und der Euro“.
„Diese Schweine sind nichts anderes als Marionetten der Siegermächte des 2. Weltkrieges und haben die Aufgabe, das deutsche Volk klein zu halten indem molekulare Bürgerkriege in den Ballungszentren durch Überfremdung induziert werden sollen.„
A. Weidel , AfD, 2o13, Quelle: Spiegel
Kapitel 2 – Europa und der EURO (S. 15 bis 22)
Anfangs wird das Thema Tradition mantraartig wiederholt, um dann das Ziel der EU als „zentralistischer Bundestaat“ hervorzuheben.
[Stattdessen treten wir dafür ein, die EU zurückzuführen zu einer Wirtschafts- und. Interessengemeinschaft souveräner, lose verbundener Einzelstaaten in ihrem ursprünglichen Sinne.]
AfD Grundsatzprogramm; KAPITEL 2, EINLEITENDER TEXT
Auch hier wird das romatisiert konservative Paradoxon der AfD entfaltet. Tradition ist wichtig, aber als losgelöste Nationalstaaten in Freundschaft. Das hat zu keiner Zeit der Geschichte funktioniert (pers. Anm.: Insbesondere mit nationalkonservativen Parteien hat es bei kleinsten Interessenkonflikten häufig „geknallt“).
[Wir lehnen die „Vereinigten Staaten von Europa“ ebenso
AFD Grundsatzprogramm; Kapitel 2, Absatz 2
ab wie eine EU als Bundesstaat, aus der kein Austritt mehr
möglich ist.]
Und das ist ist es in deutlicher Kurzform. Die AfD will die europäische Union auf ein loses Staatenabkommen zurückführen. Hier wird suggeriert, dass ein Austritt nicht möglich sei, was auf die schweren Brexit-Verhandlungen mit Großbritannien anspielt.
Das Thema wurde von der AfD hinreichend damals ausgeschlachtet, indem man ignorierte, dass die EU sich im Interesse der Mitgliedsstaaten gegen einen bedingungslosen austritt wehrte, die britische Regierung sich weigerte sich an bereits unterzeichnete Abkommen zu halten, sowie Forderungen stellte, die schlicht so nicht funktionieren konnten. Dies führt jedoch nun zu weit.
[Unser Ziel ist ein souveränes Deutschland, das
AFD Grundsatzprogramm; Kapitel 2, ABsatz 3
die Freiheit und Sicherheit seiner Bürger garantiert, ihren
Wohlstand fördert und seinen Beitrag zu einem friedlichen
und prosperierenden Europa leistet.]
Nun, dies macht Deutschland bereits. Aus einem zerbombten Nazi-Reich wurde ein prosperierender Wohlfahrtsstaat, mit seinen Fehlern natürlich, der seit rund 80 Jahren keinen Krieg mehr geführt hat und der gerade für die europäischen Nationen zu einem wichtigen Partner auf wirtschaftlicher und politischer Ebene wurde. Prima.
[Sollten sich unsere grundlegenden Reformansätze im bestehenden System der EU nicht verwirklichen lassen, streben wir einen Austritt Deutschlands oder eine demokratische Auflösung der Europäischen Union und die Neugründung
AFD GRUNDSATZPROGRAMM; Kapitel 2, Absatz 4
einer Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft an.]
In wie weit sich dies mit freundlich verbundener Diplomatie (siehe oben) umsetzten lässt, stimmt neugierig. Aber diese Sätze ähneln denen von Boris Johnson, der die politische Souveränität ohne wirtschaftlichen Nachteil versprach. Das Konzept ist identisch.
Kapitel 2.1 konkretisiert das „Europa der Vaterländer“.
[Wir unterstützen Strukturreformen, um die internationale
AFD GRundsatzprogramm; Kapitel 2.1; Absatz 2
Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Staaten zu stärken,
wenden uns jedoch entschieden gegen eine Transferunion
und zentralistische Tendenzen.]
Den ersten Halbsatz kann man sich „schenken“, jedoch was ist die Transferunion und was hat das mit zentralistischen Tendenzen zu tun? Eine Transferunion in Europa haben wir nicht. In Deutschland ist dies der Länderfinanzausgleich, sprich: Reiche Staaten unterstützen ärmere. Die im Zuge der Finanzkrise ersonenen Eurobonds kommen dem ähnlich.
Und ich fasse das mal an einem Beispiel zusammen: „Reicher Staat, der Einwanderer, Abfälle und Schrott-Kapitalwerte in ärmeren europäischen Ländern parkt, möchte nicht, dass die Armut in diesen Ländern kompensiert wird.“ Kein Applaus!
Mit zentralistischen Tendenzen hat dies weniger zu tun, als viel mehr, dass eine Transferunion natürlich von der EU aus geregelt werden müsste.
[Die Politik in Europa ist durch eine schleichende Entdemokratisierung gekennzeichnet, die EU ist zu einem undemokratischen Konstrukt geworden, dessen Politik von demokratisch nicht kontrollierten Bürokratien gestaltet wird.]
AFD GRUNDSATZPROGRAMM, Kapitel 2..1
Der heimliche Souverän aus Kapitel 1, die herrschende Kaste von Politikern und Demokraten ist zurück. Das AfD Parteiprogramm hat nun (inkl. Präambel) das dritte Kapitel unmissverständlich Politikverdrossene in Visier. Wenn die Politik nicht das macht, was ich (Individuum) oder meine Gruppe (Partei) möchte, dann ist das nicht demokratisch. Die EU hat rund 451 Millionen Einwohner, deutschland davon 83 Millionen. Wir stellen rund 18 Prozent. Das bedeutet immer, wir müssen uns mit mehreren Staaten einig sein, um zu erreichen, was wir wollen.
Und ja, die Hydra Buerocratica ist ein Problem aller politischen Systeme. Das ist kein singulär EU-Inhärentes.
Kapitel 2.2 möchte „Kompetenzen an die Nationalstaaten zurückgeben“.
[Die politischen Eliten haben mit dem Vertrag von Maastricht
AFD GRUNDSATZPROGRAMM; Kapitel 2.2, Absatz 1
1992..]…[..Veränderung in Lissabon 2007 den Versuch unternommen, die EU unumkehrbar zu einem Staat fortzuentwickeln. Dies geschah trotz der Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden von 2005. In beiden Ländern hatten die Bürger den sogenannten Verfassungsvertrag zur Gründung eines europäischen Großstaates abgelehnt.]
Zuerst sind wir wieder bei „politischen Eliten“. Die existierende Realpolitik als elitärer Klub.
Hier empfehle ich die Lektüre der Wikipedia, die das Thema Volksabstimmung 2005 zur EU-Verfassung schön zusammenfasst. So genau kann ich es hier nicht machen.
In der Kurzversion: In Staaten mit der Möglichkeit eines Referendums, wurde dieses in der Regel durchgeführt und stimmten für eine Verfassung. In parlamentarischen Demokratien stimmten Parlamente ab. Es gab Bedenken aus einigen Ecken, aber die „Sorgenkinder“ waren Frankreich und Niederlande, in denen die Bevölkerung schon aus ihrer Tradition sehr stolz auf ihre eigene Verfassung ist.
Im Falle Frankreichs stimmten 70% der Bevölkerung in einem nicht verpflichtenden Referendum ab und knapp 55% davon waren gegen eine EU-Verfassung. Ein ähnliches Bild in den Niederlanden.
Wir haben keine Europäische Verfassung, sondern einen „Verfassungsvertrag“. Dies bedeutet (grob), die Länder verpflichten sich, ihre Gesetzgebung an diesen Vertrag anzupassen. So konnten alle ihren Stolz und Nationalverfassungen behalten.
[..Wir fordern im Gegenteil das Subsidiaritätsprinzip konsequent beizubehalten und Kompetenzen an die Nationalstaaten zurückzugeben.]..
AFD Grundsatzprogramm; Kapitel 2.2
In diesem Zusammenhang das Subsidaritätsprinzip aus dem Hut zu zaubern ist schon eitel. Es gibt nämlich auch ein Wirkungsprinzip, welches aussagt, dass Gesetze da anzusiedeln sind, wo sie die größte Wirkung entfalten. Darum hat in Deutschland auch nicht jeder Landkreise eine eigene Verfassung.
Schaut man sich das EU-Gesetz an, dann ist das schon ein Monster. Jedoch werden zum übergroßen Teil nur EU-Gesetze gemacht, wo es auch Sinn macht. Gesetze, die EU-Staatenübergreifend funktionieren können. Häufig sind es dann doch nur Verordnungen und Richtlinien.
Im weiteren Verlauf des Absatzes wird der Ansatz „zurück zu einer EWG (Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft)“ schön formuliert und vertreten.
[Die Organe der EU, vor allem der Ministerrat, die EU-Kommission und das Parlament sind unzureichend demokratisch
AFD GRUNDSATZPROGRAMM; Kapitel 2.
legitimiert.]
Mit der in diesem Programm obligatorischen „demokratischen Legitimationsdefinzit“-Klammer endet auch dieser Absatz.
Kapitel 2.3 detailliert die Vorstellung einer „Bündelung gemeinsamer europäischer Interessen“ aus. Das ist von der Sache her wirklich gut beschrieben.
Für das wirklich lange Kapitel 2.4 „Volksabstimmung über den EURO“ stimmt uns die AfD gleich mal mit der groben Kelle ein:
[.. Wir fordern, das Experiment EURO geordnet zu beenden.
AFD GRUNDSATZPROGRAMM, Kapitel 2.4
Sollte sich der Bundestag dieser Forderung nicht anschließen, muss über den Verbleib Deutschlands im Währungsverbund eine Volksabstimmung durchgeführt werden.]..
In der parlamentarischen Demokratie Deutschlands ist eine Volksabstimmung nicht vorgesehen. Der Euro ist kein Experiment sondern seit über 20 Jahren gelebte Realität. Hier werden zwei Eindrücke manifestiert, die das gesamte Gebilde dieses Kapitels 2 zum Einsturz bringen, wenn man sich überlegt, in welchem Land und in welcher Demokratie wir uns befinden.
Die folgenden zwei Absätze thematisieren „die Geister die die EU rief“, denn die Autoren begründen falsch, haben aber auch durchaus Recht. Dadurch, dass im Zuge der EU-Osterweiterung Länder zugelassen wurden, die die EU-Konvergenzkritieren nicht erfüllen, ein System von Bedinungen an ein Land, dass beim Euro mitmachen möchte, bei der Einführung des Euro auch einige Mitgliedsstaaten bereits für diese Nichterfüllung der Kriterien sanktioniert wurden, steht der Euro auf tönernen Füßen, was die Währungsstabilität ohne das Mittel einer Transferunion angeht. Man könnte sehr vereinfacht sagen: Die ärmeren Ländern ziehen die Reichen mit „runter“.
Gerade jedoch in Polen oder auch Ungarn und anderen werden Maßnahmen der EU blockiert, die hier Abhilfe schaffen sollen. Die Beitragsempfänger üben praktisch so Druck auf Beitragszahler aus. Dass es sich dabei um EU-kritische nationalkonservative Regierungen handelt ist kein Zufall, schließlich würden Gesetze in dieser Richtung sich unmittelbar auf sie auswirken.
Im weiteren Verlauf geht das Programm auf den sogenannten „Rettungsschirm“ ein. Der sogenannte „Europäische Rettungsschirm“ vestieß gegen einige EU und auch nationale Gesetze (nicht nur in Deutschland) – das stimmt, da gibt es nichts zu deuteln. Aber er hat uns den Po gerettet, als die Wirtschaft die Hände in die Luft riss. Ob das nun ersonnene Stabilisierungssystem der Verfassungsprüfung stand hält, weiß ich nicht.
Nahezu das gesamte restliche Kapitel 2.5 arbeitet sich am Rettungschirm ab. Dass Problem wird auf die gemeinsame Währung reduziert und diese damit als „schlecht“ dargestellt.
Hierzu muss man etwas zurück blicken. Die EZB ist nicht wesentlich anders gebaut, wie die DZB es war. Sie versucht über Leitzinsen und Sätze und Geldmengenpoilitik die Währung auf Kurs zu halten. Das gelang schon bei der DM oft passabel, manchmal aber auch nicht, und so ist es beim Euro. Die System-Mechanik dahinter ist nahezu identisch.
Das Kapitel schweigt vollends über die Vorteile einer gemeinsamen Währung. Das Programm gestaltet sich auch in diesem Kapitel als „Kritikpapier“ mit wenigen echten Vorschlägen jenseits eines „Früher wars besser“.
In Kapitel 2.5 „Keine deutsche Haftung für ausländische Banken“ wird eben genau dieser Punkt ausformuliert und man kann über diesen Standpunkt denken, wie man möchte, jener von der AfD ist verständlich und wird auch von anderen Parteien geteilt.
Allerdings durchmischt sich das Thema „ausländische Banken“ und Bankensystem, bis zu dem Punkt dass „der Steuerzahler“ für Bankenrettung nicht mehr aufkommen soll und (natürlich) eine nationale Bankenaufsicht. Am Ende strotzt das Kapitel voller gutbürgerlicher Wertvorstellungen, die mit der Realität des globalen Bankensystems ungefähr so viel zu tun haben, wie das Schlumpfdorf mit einem Pilzrisotto. Es wundert, dass ausgerechnet beim Thema Banken die Schweiz nicht bemüht wird. Jedoch ist das Programm Jahre vor der Credit Suisse -Pleite entstanden.
Der letzte Absatz gibt dann noch einmal Anlass zum Nachdenken.
„[Bis zum Austritt aus dem Eurowährungsverbund sind die
AFD GRUNDSATZprogramm; Kapitel 2.5
Target-2-Salden, also die Salden der nationalen Notenbanken gegenüber der EZB, einmal im Jahr auszugleichen. Auch die Kreditvergabe an Staaten wird wieder mit Sicherheiten unterlegt. Dies können auch Bodenschätze oder Rechte an
ihnen sein.]“
Mit der AfD treten wir aus dem Euro aus. Mit der Wahl der AfD trifft das Volk unumstößlich diese Entscheidung. Da brauchts dann auch kein Referendum mehr. Überhaupt gibt der Autor wenig auf demokratische Prozesse. Warum abstimmen, wenn man die Wahrheit schon kennt? Hier wird das naive Bild vertreten, dass Kapitalien immer auch mit Materialien gedeckt sind. Das ist derart falsch, dass dies zu widerlegen schon eine eigene Form von Dummheit erfordert.
ZWISCHENFAZIT (zum Kapitel 2)
Die AfD ist zementiert Anti-EU. Staatengemeinschaft weg, Euro weg, ein paar Wirtschaftsverträge und wenn einer was von uns will, erwarten wir Gegenleistung. So oder so ähnlich könnte man das Kapitel „Schnell und schmutzig“ zuammenfassen.
Anders als noch im Teil 2 (zum Kapitel 1) werde ich nun nicht aus Verfassung(en) zitieren, um noch einmal zu untermauern, warum die hier gemachten Versprechen einfach so nicht funktionieren werden. Aber das werde ich hier weder verteufeln noch zu sehr dramatisieren.
Es ist, als würde man sich mit Twofaces aus Batman unterhalten. Die AfD will Subsidarität vor Effektivität, Effektivität vor Bürokratie, Wirtschaftsinteressen vor Partnerschaft, Partnerschaft vor Diplomatie, Diplomatie vor starren Gesetzen. Die Liste ist endlos.
PCO; orthy.de; 2023
Das Europa-Programm der AfD ist an oberflächlicher Simplizität, mit darunter liegender politischer nationalistischer Schitzophrenie Johnson’schen Ausmaßes, kaum in einen Rahmen zu fassen.
Man möchte das Rad gerne zurückdrehen bis zur EWG (Achtung: Danach kam noch die EG).
Die AfD ist aus diesem Kapitel schlussfolgernd:
1. Nationalistisch
2. Anti-Europäisch
3. Systemkritisch (wirtschaftlich)
4. System Ablehend (EU-politisch)
Hieraus ergeben sich für mich 2 Fragen:
(A) Darf man mit einer solchen Partei als „Demokratisch EU-zugewandte Partei“ eine Koalition bilden (Liebe Grüße an CDU/CSU und FDP)?
(B) Ist dies bereits eine Verfassungsfeindliche Grundhaltung, wenn ein Vertrag über eine Europäische Verfassung erst als „Verfassung“ missinterpretiert und dann postwendend abgelehnt wird?
Zusammenfassend Prämbel bis Kapitel 2
Was nach dem Genuss der ersten 3 Kapitel dieses Programms an Subkontextualer Zielstellung bleibt ist „Ablehnung des Systems“, „Hass auf Eliten“, „Wiederkehrende Ungerechtigkeit“ und nicht zuletzt das schüren von „Angst“.
Das Programm ist bis hier her ein uninspiriertes Frankenstein-Konzept, zusammengeklebt aus einem konservativen Best-Of Gestern, Hass und Angst schürend und frei von jedwedem Respekt für existierende Gesellschaften, und nicht davor zurückschreckend veraltete Narrative, bis hin zu Hirngespinsten zu bedienen. Selbst da, wo dieses Programm einen guten Punkt macht, wird am Ende in Form einer didaktischen Klammer eine nationalistische Absurdität daraus gemacht.
Die AfD ist lt. Kapitel 1 unsere parlamentarische Demokratie ablehnend, und laut Kapitel 2 auch gänzlich gegen die Europäische Union. Vielleicht nicht verfassungsfeindlich, aber ganz bestimmt mit keiner der großen Parteien koalitionsfähig.
(pco)2023
Beitrag 1: Die Präambel
Beitrag 2: Das Kapitel 1
QUELLE(N)
https://www.afd.de/grundsatzprogramm/ (Stand 06/2023; Aktualisierte Fassung; Erstfassung 2015; so weit bekannt)
Bundessatzung der AFD (Stand 06/2023); https://www.afd.de/satzung/
Wikipedia; Referendum in Frankreich und Niederlande 2005
Wikipedia; Vertrag über eine Verfassung in Europa
TreffpunktEuropa.de; Die AfD will den Euro abschaffen
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